„Light itself ist a revelation.“ James Turrell
Es ist das Jahr 2003.
Während in Turbine Hall in Tate Modern die berühmte Lichtinstallation „The weather project“ - we are the weather von Olafur Eliasson statt findet, begegne ich zur selber Zeit in der Schweiz in der Stadt Zug der Lichtkunst von James Turrell. Er gestaltete Licht in Zuger Bahnhof und wir, als Mitarbeiter eines Lichtplanungsbüros in Winterthur, durften die Baustelle mit einer Führung besichtigen.
Es sind gerade 2,5 Jahre her, in Sommer 2018, als es in Frieder Burda Museum eine Ausstellungseröffnung der Lichtkunst-Installationen von James Turrell statt gefunden hat. Ein Raum, inszeniert durch das Farblicht in additiven Sekundärfarben, liess meine farbige Kleidung teilweise verblasen, sodass ich für den kurzen Moment unsicher war, ob sie überhaupt eine Farbe hatten. Von beiden Seiten des Raumes war es möglich die langen Flure zu beobachten, die eine alltägliche, neutralweisse unaufregende Kunstlichtbeleuchtung hatten. Ich staunte nicht schlecht, als ich merkte dass, je nach Sekundärfarbe des Raumes, also je nach dem, ob der Raum, in dem ich stand, in Magenda, Cyan oder Gelb erschien, sah ich die Flure in etwas grünerem, etwas rötlicherem oder etwas gelblicherem Kunstlicht, wo ich aber wusste, es war eine normale neutralweisse Lichtfarbe. Es hat mich verwirrt und ich wusste nicht, welches Weiss des Lichtes es wirklich war, ich hatte keinen Anhaltspunkt mehr. Diese Verwirrung liess mich nur schwer in dem Raum bleiben, ich musste also für mich die Klarheit in meiner Wahrnehmung verschaffen und ging raus zu dem Sonnenlicht der Museumsterrasse.
Wie die Wahrnehmung sich verwandeln kann, Wahnsinn!
Ende September, als das Tageslicht sich schon um einiges kürzte, waren mein Partner und ich in Piz Uter bei Zuoz, in Sky Space von James Turrell inszeniertem Pavillon. Eigentlich durch das gleiche Prinzip, wie bei der Lichtinszenierung des Raumes in Frieder Burda Museum, doch dann mitten im Pavillon eine Öffnung zum Himmel.
Bei der Dämmerung, als der Raum in Gelb erschien, war der Himmel dunkelblau, wie wenn es schon fast die Nacht wäre. Ich wusste, es ist nicht so, doch meine Augen nahmen ein anderes Bild wahr. Die Macht der Komplementärfarben! Und so das ganze Spiel von vorne, wie im Museum, mit den Sekundärlichtfarben.
Plötzlich ging das farbige Licht im Pavillon aus und ich merkte, dass der Himmel gar nicht dunkel war, die Dämmerung  tritt erst richtig ein. Also war es in Pavillon auf ein Mal dunkler, als Draussen auf der Hügel.
Im Zug, auf dem Weg zurück nach Hause, hatten wir zwei Stunden Zeit, um unsere Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten. Ich überlegte mir, dass es für mich sehr gut erklärt, wie meine Wahrnehmung funktioniert. Es passt einfach zu meiner Einstellung, dass ich die wirkliche Realität, als Mensch wie ich bin, nicht sehen kann. Ganz einfach aus dem Grund, weil ich aus eigenen Erfahrungen, Gewohnheiten, Gefühle und Emotionen bestehe, die meine Farbfilter sind. Und je nach dem, welches Farbfilter gerade in diesem Moment wirkt, sehe ich Dinge durch das Filter.
Nun
Licht selbst ist die Offenbarung, so sagte James Turrell. Und ich würde noch dazu sagen, dass es immer darauf ankommt, in welchem Licht ich die Dinge um mich herum betrachte, werden meine Emotionen und Gefühle entweder angesprochen oder ganz verstummen.
Abschliessen möchte ich mit der Beobachtung eines Architekten, dessen Gestaltungsphilosophie mir sehr nahe liegt:
„Das letzte. Als ich diese Dinge vor ein paar Monaten aufgeschrieben habe, sass ich in der Stube, bei mir im Wohnzimmer und habe mich gefragt: Was fehlt dir noch? Ist das jetzt alles? Sind das so deine Themen? Und dann habe ich es plötzlich gesehen. War relativ einfach. „Das Licht auf den Dingen“. Ich habe mir das mal fünf Minuten lang angeschaut, wie es bei mir im Wohnzimmer wirklich ausschaut. Wie das Licht ist. Und das ist fantastisch! Das ist bei Ihnen sicher gleich. Wo das Licht überall sass und wie. Wo die Schatten waren. Und wie die Oberflächen stumpf waren oder funkelnd oder aus der Tiefe kamen.“ Peter Zumthor, Atmosphären, Birkhäuser, „Das Licht auf den Dingen“ S57
Es ist, hoffe ich sehr, auch hier auffallend, dass weder James Turrell, noch Herr Zumthor, als noch ich von Leuchten oder Lampen geschrieben haben, sondern vom Licht und Atmosphäre. Denn ein:e Maler:In sich nicht die Pinseln am Anfang des Prozesses vorstellt, mit den er:sie ein Kunstwerk kreieren wird. Nein. Er:sie fängt mit einer Vorstellung im Kopf an, mit einem Bauchgefühl.
So auch hier. Lichtgestaltung fängt mit einer Vorstellung, denn das Licht eine Emotion ist, ein Gefühl, das hervortritt, sobald das Licht Dinge, Oberflächen und Farben sichtbar macht, bespielt oder andeutet.
„Alle grossen Leute waren einmal Kinder, aber nur wenige erinnern sich daran."
Zitat aus "Der Kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry
Als ich ein Kind war, liessen meine Eltern vorm ins Bett gehen abwechselnd Hörspiele auf dem Schalplattenspieler laufen. Mein Lieblingsmärchen war von Peter Pan und dem Neverland-Leben.
Beim Zuhören des Märchens war ich praktisch selbst ein Peter Pan, der seinen Schatten an der Schranktür eingeklemmt hat und fliegen konnte - das konnte ich dann auch. Manchmal fühlte ich mich wie Captain Hook, der sich vor einem Alligator fürchtete, der wiederum seinen Wecker verschluckt hat, oder die Fee Tinkerbell, die hoffnungslos in den Peter Pan verliebt und ständig eifersüchtig war.
Und ein Satz blieb mir bis heute fest im Kopf hängen: „Du bleibst solange ein Kind, bist Du es verlernst fröhlich, unbekümmert und unvoreingenommen rücksichtslos zu sein.“
Bei Pipi Langstrumpf lass ich: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!“ und ihre so kindliche Frechheit und Entschlossenheit, aber auch Ihre Wissbegier hat mich verzaubert und, ich denke, nachhaltig geprägt. Und Michel aus Lönneberga mit seinen coolen Ideen machte mir Mut, die Welt weiter so zu erkunden, wie ich es schon tat, auch wenn das den Erwachsenen manchmal doch so gar nicht passte, auch wenn es deshalb Ärger gab.
Michael Endes „Momo“ ist DAS Buch, das ich dann als Erwachsene noch mal las und eigentlich verstand, dass das Buch eher eine Lektüre für Erwachsene ist, als Erinnerung, ihr eigenes inneres Kind nicht zu vergessen.
Momo hat ein Geheimnis, was ich und auch alle Menschen haben, nur nicht unbedingt immer bewusst wahrnehmen und es manchmal für viel zu selbstverständlich halten - die Zeit. „[…] Es gibt Kalender und Uhren, um sie [die Zeit] zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiss, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“
Ah ja, da ist noch was Wesentliches dabei, was Beppo der Strassenfeger sagte und mir ebenso bis heute in meinem Kopf hängen blieb: „Man darf nie an die ganze Strasse denken, verstehst du?“ fragt er die kleine Momo einmal. „Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. […] Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Hattet ihr schon mal beobachtet, wie Kinder ihre Sandstädte, Burgen und einfach Sandformen bauen? 
Sie sind wie verzaubert, hochkonzentriert und voller Freude.
Sie leben den Prozess aus, fokussieren sich komplett darauf und ohne jegliche Bedenken, dass irgendwas schief gehen kann. In dem Moment existieren sie nur in ihrer eigenen Welt, in der kein Mensch ihnen was reinreden kann.
Sie tun es mit viel Liebe und Entschlossenheit, mit einer lebhaften und phänomenalen Vorstellungskraft.
Und wenn so eine Sandstadt fertig ist, sind sie ebenso mit voller Freude dabei, ihr eigenes Werk zu zerstören das sie grade erst kreierten. Weil Finito. Fertig. Aus. Ende. Weil Weitergeht’s, das Zerstören ist das neue Spiel, neue Herausforderungen, neue Überraschungen …
Könnte es sein, dass ein Erwachsener zu sein all das beinhaltet, was Peter Pan, Momo, Michel und Pippi Langstrumpf bereits in sich tragen nur mit dem zusätzlichen Bonus von sauber reflektierten Erfahrungen, über eigene Ängste und Zweifel, über eigene Fehler und Erfolge?
Und natürlich eine klare Vorstellung, was man aus dem Rücksack „Prägungen von Eltern, Familie, Umgebung und gesellschaftlichen Erwartungen“ wirklich braucht und was nicht.
Ist es dann vielleicht, was das Erwachsensein bedeutet: die Fähigkeit Verantwortung für sich selbst, eigene Worte und eigenes Handeln zu tragen, eigenem Bauchgefühl und dem ersten Eindruck zu vertrauen, was dann in schwierigen Situationen handlungsfähig bleiben lässt. Ohne dabei aber den Zauber der Vorstellungskraft, Fröhlichkeit und Unvoreingenommenheit zu verlieren…?
Ist es dann nich so, dass ein Erwachsener ein reifes ausgewachsenes Kind wäre?
Und wer sind dann diese ausgewachsenen Menschen, die sich nur zu wenig daran erinnern können, dass auch sie mal Kinder waren?
Ich find’s, Michael Ende hat diese Menschen ziemlich präzise in „Momo“  beschrieben. Ja, das sind die gut gekleideten grauen Herren, die Zeit-Sparer mit viel Geld, die aber „missmutige, müde oder verbitterte Gesichter und unfreundliche Augen“ haben. Diese grauen Herren fürchteten Stille, „weil nur so ahnten sie, was in Wirklichkeit mit ihrem Leben geschah. Darum machten sie Lärm, wann immer Stille drohte.“ Deshalb haben sie einen ständigen Konsum gebraucht, da „man nur immer mehr und mehr haben (muss), dann langweilt man sich niemals.“
Ich denke, diese ausgewachsenen Menschen, die es vergessen haben, dass sie einmal Kinder waren, sind Kinder, die schon in ihrer Kindheit zu oft solchen grauen Herren begegnet sind und deshalb vergessen haben, dass die Zeit Leben ist und in ihren eigenen Herzen lebt.

Dazu fiel mir eine schöne Sufi-Geschichte ein, mit der ich meine heutige auch abschliessen mag und jeder* und jedem* einen schönen 2. Advent mit viel Zauber und Wohlfühlen wünsche: „Nachdem Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, gingen ihnen die Augen auf und sie konnten Gut und Böse, Liebe und Hass erkennen und unterscheiden. […] Danach diskutierte Gott […], wie es möglich sei, die Menschen davon abzuhalten, wieder in den Himmel zu kommen […] „Wir verstecken den wertvollsten Schlüssel, den es für Menschen gibt, in den Herzen der Menschen.“ Da war Gott begeistert und sagte: „Diese Idee finde ich hervorragend, denn die Menschen finden den Schlüssel leichter im Meer oder im Weltraum als in ihrem eigenen Herzen. Wenn aber ein Mensch sein Herz sehr weit öffnet und den Schlüssel der Liebe in seinem Herzen findet, dann sollte er ihn auch benutzen und schön zu Lebzeiten wieder in den Himmel können.“

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